Kleine Bundesliga

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Wo selbst Jugendvereine unter Erfolgsdruck stehen, wird es für Kinder immer schwerer, überhaupt Freude am Kicken zu entwickeln. Wir haben eine Fußballschule besucht, in der Spaß großgeschrieben wird. Besonders bei den ganz Kleinen.

Die Trikots lesen sich wie das Who-iswho des internationalen Spitzenfußballs: Die kroatische Nationalmannschaft ist auf dem Platz, die deutsche auch, der FC Bayern München,  Chelsea FC und natürlich Eden Hazard – Trainer Andy Russky kann am Montagnachmittag bereits aus den Vollen schöpfen. Okay, es sind nur die Trikots der Stars – dafür aber fünf Kinder, grob drei bis vier Jahre alt. Sie treten gegen Bälle, jubeln, freuen sich und fallen manchmal auch einfach um. Alle lachen. „Die Kinder lernen bei uns gemeinsam und frei zu spielen und sich dabei an bestimmte Spielregeln zu halten“, sagt Russky. „Das Tolle ist, dass sich die Kinder schon untereinander die Regeln beibringen.“

Es ist die erste Gruppe des Tages, die Russky in der VfL Fußballschule Fair Play in Sindelfingen trainiert. Seit 1997 existiert die Schule, die dem VfL Sindelfingen untergeordnet ist, aber unabhängig vom Verein und mit einer anderen Spielphilosophie arbeitet. Russky, früher selbst Spieler bei den Stuttgarter Kickers, ist Diplom-Sportwissenschaftler und Inhaber der DFB-A-Trainerlizenz. Er leitet Fair Play seit 2002 und wird unterstützt von sechs Honorar-Trainern, allesamt mit pädagogischem Wissen und einer DFB-Trainerlizenz ausgestattet. Der 45-Jährige kümmert sich hier um insgesamt rund 300 Kinder zwischen drei und 15 Jahren. Cristian Fiscella ist 19 Jahre alt, er hilft als Trainer und absolviert bei Fair Play sein Freiwilliges Soziales Jahr. Er ist auch der einzige, der sich am Geländer bücken muss, um auf den Sportplatz zu treten. Seine Spieler laufen einfach unten durch. Bevor das Training richtig losgeht, sitzt er gemeinsam mit den Kleinen auf dem Rasen und sie reden einfach miteinander beim Begrüßungskreis. Schon wieder wird gelacht. „Die Schulung von Sozialverhalten und die Vermittlung von Werten wie Fair Play, Respekt und Anstand sind heutzutage mindestens genauso wichtig wie das Erlernen einer neuen Technik“, so Russky. Beides scheint in Sportvereinen aber nicht mehr alltäglich.

„Im Verein ist es leider so, dass viele Kinder-Trainer nicht das Fachwissen haben und dazu noch viel zu früh auf die Ergebnisse schauen statt auf die Entwicklung. Bei den größeren Vereinen werden Kinder rekrutiert und später ausgesiebt und bei kleinen Vereinen sind die Eltern ja schon froh, wenn überhaupt ein Training für Kinder angeboten wird“, erzählt Russky. Er versucht, den Kindern den Spaß am fairen Spielen ohne Leistungsdruck zu vermitteln – damit sie sich frei entwickeln können.

„Im Verein ist der Umgangston oft rauer und die Kinder werden früh selektiert“, erzählt der Trainer. „Und das wird leider nicht pädagogisch wertvoll vermittelt, sondern die Spieler werden dann einfach auf die Bank gesetzt.“ Das mache häufig den positiven Aspekt des Mannschaftssports komplett zunichte, sagt Russky. Dazu kommen noch überehrgeizige Eltern, die den Trainern reinreden und ihre Sprösslinge auf dem Platz wissen wollen. Leidtragende sind Kinder, die zwar viel Spaß am Kicken haben, im ortsansässigen Verein jedoch nicht mitspielen dürfen oder keine Zeit bekommen, sich überhaupt zu entwickeln.

Mittlerweile herrsche im Jugendfußball ein ähnlicher Geist wie bei den Erwachsenen, sagt Russky. Ranghöhere Vereine schöpfen die Talente bei den Kleinen ab und nicht selten stehen Kinder bereits in der E- oder D-Jugend unter dem Druck, mithalten zu müssen. „Diese Hysterie macht den Fußball und auch die Jugendarbeit in den Vereinen kaputt“.

Ambitionierte Spieler werden auch in der Fußballschule weiter gefördert. Bei Fair Play gibt’s daher auch eigene Talentgruppen und in Absprache mit den Eltern und Kindern vermitteln sie auch zum Probetraining beim VfL Sindelfingen oder den jeweiligen Heimatvereinen. „Wir haben auch Vereinsspieler, die uns als Zusatzangebot nutzen. Bei Russky dürfen die Kinder wie einst im Straßenfußball ausleben, was ihnen im Verein unter Wettkampfdruck oft kaputtgemacht wird – Fußball, Kicken, Bolzen, Finten und auch mal ein bisschen eigensinnig sein.

Zwischen Spaß und Talent will er gar nicht unterscheiden. „Talentierte Spieler merken auch, dass sie beim freien Spielen und Üben in einer heiteren Lernatmosphäre ihr Leistungspotenzial besser ausschöpfen können.“ Zack, schwindelig gespielt und sogar dabei gelacht.

Von Michael Setzer